Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz spricht im Interview über den Mut zur Veränderung, Jungs als neue Fangruppe, sein Leben in Los Angeles. Und die Sehnsucht nach deutschem Schwarzbrot.
WirtschaftsWoche: Herr Kaulitz, Ihr Haar ist platinblond und kurz geschnitten. Sie tragen schwarze Jeans, Lackschuhe und Strickponcho – im Vergleich zu früher sehen Sie geradezu spießig aus.
Bill Kaulitz: Ich trage oft hohe Schuhe, das sorgt zumindest in Deutschland immer noch für Aufregung. Aber klar, ich sehe heute anders aus als vor fünf Jahren. Ich liebe Mode und könnte niemals jahrelang die gleiche Frisur tragen. Ich brauche die Veränderung.
Die schwarzen, langen Haare waren jahrelang Ihr Markenzeichen. Sind solche Veränderungen nicht gefährlich?
Bill: Klar, immer wenn ich eine neue Frisur oder ein neues Tattoo habe, gibt es einen Aufschrei. Als Fan findet man eine Band schließlich wegen ihrer Musik und ihres Looks toll – wenn sich das ändert, sorgt das für Unmut. Aber ich werde mich immer weiterentwickeln und verändern, und das wird immer auch einigen Fans nicht gefallen. Als Künstler muss man dieses Risiko auf sich nehmen.
Schämen Sie sich für Ihren früheren Look?
Bill: Nein, ich würde zwar heute nicht mehr so rumlaufen, aber damals wollte ich genau so aussehen und deshalb war das zu dem Zeitpunkt auch authentisch und richtig.
Sie waren früher der Außenseiter, der Musik für Außenseiter gemacht hat. Eine kleine Zielgruppe – warum hat es trotzdem funktioniert?
Bill: Unseren ersten Hit „Durch den Monsun“ habe ich in unserem Proberaum in Magdeburg geschrieben, weil ich das damals genauso gefühlt habe. Und dass viele Leute genauso gefühlt haben, das wusste ich nicht. Genauso wenig wie die Plattenfirmen, die uns erst abgelehnt haben. Und auch beim neuen Album Kings of Suburbia habe ich nicht gedacht: Mh, für welche Zielgruppe schreibe ich denn nun? Ich habe mich daran orientiert, was ich selbst gerade hören will. Ich muss mich erst selbst glücklich machen und kann dann nur hoffen, damit auch andere glücklich zu machen.
Wer hört Tokio Hotel heute?
Bill: Als wir mit 15 unsere erste Platte rausgebracht haben, waren unsere Fans im gleichen Alter oder jünger. Viele von denen sind mit uns mitgewachsen, weil sie sich auch verändert haben. Aber es kommen natürlich auch neue dazu. Wir haben gerade in LA in einem Klub gespielt, für den man über 21 Jahre alt sein musste. Da hatten wir schon ein bisschen Angst, dass manche Fans nicht reinkommen. Völlig unberechtigt. Die meisten unserer Fans sind jetzt auch Mitte 20. Und es kommen erstmals auch Jungs zu unseren Konzerten.
Woran liegt das?
Bill: Zum einen liegt es natürlich an der Musik, die wir jetzt machen. Unser Sound hat sich sehr verändert über die Jahre. Mein Zwillingsbruder Tom und ich sind 25 Jahre alt, unser Bandkollege Gustav hat gerade geheiratet – unser Geschmack und unsere Interessen haben sich in den letzten zehn Jahren geändert. Und gerade bei den Jungs ist der Coolness-Faktor einer Band ganz entscheidend. Früher haben uns keine Jungs gehört, weil wir denen zu jung und zu uncool waren.
Kings of Suburbia ist das erste Album nach fünf Jahren und klingt nach Großstadt und Klub – eine so lange Pause und ein völlig neuer Musikstil ist eigentlich das klassische Karriere-Aus für eine Teenie-Band.
Bill: Absolut – alle haben uns davor gewarnt, uns eine so lange Auszeit zu gönnen, weil das gegen jede Regel des Musikbusiness verstoßen würde. Aber wir hatten einfach keine Lust mehr und haben es riskiert. Ich wusste damals nicht mehr, welche Musik ich überhaupt machen wollte. Und wenn man ein Album nur macht, um die Zielgruppe bei Laune zu halten, kann das nicht gut gehen.
Tokio Hotel ist eine deutsche Marke, die aber international oft besser funktioniert hat als in der Heimat. Warum?
Bill: In Deutschland waren wir immer nur Nische. „Durch den Monsun“ war wochenlang in den Charts und trotzdem hat es kein Radiosender gespielt. Die hatten Angst zu polarisieren oder dass jemand abschaltet. In anderen Ländern fand uns eine breitere Masse gut – da wurden wir auch im Radio gespielt. Außerdem ist alles, was mit Bühnenshow zu tun hat, in Deutschland schwierig. Hier funktioniert reduziertes Singer-Songwriter-Zeugs mit Gitarre, aber nicht die große Show. Wenn man hier in seinem Musikvideo einen Lamborghini fährt, finden das alle dumm und prollig. In den USA hingegen finden das alle geil.
Sie leben seit fünf Jahren in Los Angeles. Welche deutschen Produkte fehlen Ihnen?
Bill: Die Maggie-Fertigmischungen und Ritter-Sport-Schokolade. Und deutsche Backwaren. Vor allem Schwarzbrot und Pflaumenkuchen.
Interview by Lin Freitag
Source: WirtschaftsWoche
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